Öffnungszeiten: Mo. + Di.: 12 - 18 Uhr, Mi. - So.: 10 - 18 Uhr // 20.04. ab 12 Uhr geöffnet

Chilli Zotter

“Kennen Sie schon Zotter?”
Ich sehe Vanesa irritiert fragend an. Dass sie Vanesa heißt, weiß ich ja von Kerstin, die mir in einer der wenigen ruhigen Minuten erzählt hat, dass sie gelegentlich aushilft, seitdem sie im Sommer nach einer Initiativbewerbung (was für ein schönes Wort) das Café kennengelernt und lieb gewonnen hat. Jedenfalls steht jetzt Vanesa neben mir und stellt seltsame Fragen. Oder jedenfalls eine seltsame Frage.
“Wen kenne ich?”
“Nicht wen, was!”, erwidert sie grinsend.
“Also, ich kenne Boomer aus dem Fernsehen, der sah immer etwas zottelig aus, aber mein Gefühl sagt mir, ihn meinst du nicht.”
Jetzt sieht sie mich irritiert an.
“Nicht so wichtig, das ist eine Fernsehserie aus der Zeit, als auf RTL die Anke Engelke noch ihr Unwesen trieb, damals ungefähr so alt wie du jetzt. Vielleicht bisschen jünger.”
“Aha. Wer ist Anke Engel?”
“Nicht so wichtig”, antworte ich lächelnd. “Ich glaube, du wolltest mir etwas mitteilen.”
Sie denkt kurz nach, dann sagt sie: “Ich wollte fragen, ob Sie Zotter schon kennen.” Dabei deutet sie auf etwas, das auf dem Tisch steht und früher nicht da war. “Haben wir neu reinbekommen.”
Jetzt sage ich “Aha!”. Es sind kleine Karten im Visitenkartenformat auf einer Art Ständer, sodass man die einzelnen Karten umblättern kann. So ähnlich wie diese Tischkalender für Schreibtische, die aufgestellt werden. Sieht irgendwie niedlich aus. Und jetzt wird mir klar, dass Zotter eigentlich der Name einer Firma ist.
“Du willst mir Trinkschokolade verkaufen?”, frage ich Vanesa.
Sie nickt begeistert. “Genau! Wir haben richtig leckere Sorten! Zum Beispiel Chili Bird’s Eye!”
“Das klingt, als würde man die Welt aus der Vogelperspektive betrachten, wenn man das Zeug getrunken hat, weil es so scharf ist.”
“Es schmeckt kräftig”, bestätigt sie. “Aber wir mussten noch keinen Gast von der Decke holen.”
“Wie beruhigend”, murmele ich. “Gibt es auch andere Sorten?”
“Selbstverständlich. Wir haben noch weiße Schokolade mit Vanillegeschmack, Nuss-Nougat, Milch Kakao und Honig-Zimt.”
“Habt ihr auch Kakao? Einfach nur Kakao?”
“Wir haben jetzt Zotter! Aber Milch Kakao ist im Prinzip wie Kakao.”
“Wahrscheinlich heißt er deswegen so, nicht wahr?”
“Genau!”
“Ich mag keinen Kakao, aber einen Kaffee nehme ich gern. Und einen Schokokuchen.”
Sie starrt mich entgeistert an. Schließlich sagt sie: “Wir haben heute keinen Schokokuchen.”
“Wieso habt ihr keinen Schokokuchen? Ich habe letztens doch auch Schokokuchen gegessen.”
“Wir haben nicht jeden Tag jede Sorte, dann müssten wir ja zwanzig verschiedene Kuchen haben. Aber wir haben Linzer Torte. Oder ofenwarmen Apfelkuchen vom Blech. Dazu passt Zotter Honig-Zimt übrigens ganz gut.”
“Ich will aber Kaffee”, sage ich langsam. Vielleicht habe ich vorhin zu schnell gesprochen, als ich meinen Wunsch geäußert habe, Kaffee zu trinken. “Oder habt ihr Kaffee auch nicht jeden Tag?”
“Doch, den haben wir natürlich jeden Tag.”
“Siehst du. Dann nehme ich Java. Ein Kännchen, bitte. Und dazu blechwarmen Ofenkuchen. Ach, du bringst mich ganz durcheinander. Ich meinte natürlich ofenwarmen Blechkuchen.”
“Mit Sahne?”
“Schmilzt der nicht auf dem ofenwarmen Kuchen?”
“Unsere Sahne nicht”, erwidert sie indigniert. “Also, Sie nehmen ein Kännchen Java und einen warmen Apfelkuchen? Keinen Zotter?”
“Nein! Keinen Zotter! Weder mit Chili zum Fliegen noch mit Honig!”
“Okay.” Sie entfernt sich hocherhobenen Hauptes.
Ich blicke mich um. Mittwochs um die Mittagszeit ist es nicht ganz so voll, nur an zwei weiteren Tischen sitzen Gäste, die unserer Unterhaltung offensichtlich amüsiert gefolgt sind. Eine Frau, etwa Anfang Vierzig, hebt ihr Glas in meine Richtung und sagt: “Schmeckt übrigens wirklich sehr gut, der Chilikakao.”
“Daran zweifle ich ja auch gar nicht. Und vielleicht muss man ja auch das Glas leertrinken, bevor man fliegen kann.”
“Ich finde Ihren Humor köstlich, Herr …”
“Mut”, stelle ich mich vor. “Ich bin Herr Mut.”
“Dann sollten Sie doch eigentlich kein Problem damit haben, mal etwas Neues zu probieren.” Dann sieht sie mein Gesicht und fügt schnell hinzu: “Das haben Sie bestimmt schon oft gehört!”
“Zumindest nicht selten.”
Sie deutet auf Vanesa, die gerade vor der Mühle steht, um meinen Java zuzubereiten. “Sie haben die Arme ja ganz schön durcheinandergebracht. Ich glaube, alle, die Anke Engelke noch bei RTL erlebt haben, bekommen langsam Enkelkinder … Ups, entschuldigen Sie bitte.”
“Nichts passiert.” Während ich das sage, geht mir der Gedanke durch den Kopf, ob Chili Bird’s Eye damit etwas zu tun haben könnte, aber da auch Toll Schreiber gerne solche Fettnäpfe findet und der garantiert keinen Kakao, mit oder ohne Gewürze, trinkt, liegt es vermutlich nicht daran.
Die Anfangsvierzigerin nickt und widmet sich wieder dem Buch, das sie vom Ständer mit den Ansichtsexemplaren genommen hat. Wenn ich es richtig gesehen habe, ist es dieser neue Krimi. Irgendwas mit schachmatt. Zumindest irgendwas mit Schach. Rochade, oder so ähnlich. Mich interessiert so was ja nicht.
Ich will doch bloß meinen Kaffee.
Mehr von Herrn Mut

Herr Mut im Paternoster