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Herr Mut versteht die Welt (nicht) – Teil 7

Wir betraten das Café Kitsch kurz vor Ladenschluss. Nach einer kurzen Begrüßung halfen wir Kerstin, einzuräumen, dann gingen wir in die Küche, wo wir vor neugierigen Blicken geschützt waren, also auch keine Maske tragen mussten. Kongar hatte uns nicht begleitet, er kehrte Linz den Rücken. Er war halt ein empfindsamer Erzählgeist, die ganze Sache ging ihm erkennbar recht nahe. Das konnte ich durchaus nachvollziehen, unabhängig davon, dass sowohl Lola als auch ich besser damit umgehen konnten. Ich, weil ich schon zu viel erlebt habe, Lola, weil sie so war, wie sie war. Nicht abgebrüht, aber lebensfroh. Sie hatte eine halbe Stunde geweint, danach war es gut.
Ist nicht die schlechteste Art, mit Tragödien umzugehen.
„Und, wie lief das Treffen mit Ihrem Freund, Herr Mut?“
„Aufregend!“, erwiderte Lola, die anscheinend neuerdings Herr Mut hieß. „Mord in Linz!“
„Lola!“, rief ich unterdrückt. „Musst du gleich mit einem Scheunentor ins Haus fallen?“
„Mord?“, wiederholte Kerstin. „Davon habe ich ja gar nichts mitbekommen.“
„Weil wir dafür gesorgt haben, dass niemand es mitbekommt“, antwortete ich. „Es hätte zu viel unnötige Aufregung verursacht. Letztlich war es eine Sache zwischen Elfen und Dämonen.“
„Dämonen? Die gibt es auch?“
„Ja, natürlich. Vampire, Werwölfe, Dämonen, Geister aller Art und noch mehr, all diese Wesen existieren wirklich. Normalerweise bekommen die Menschen, die Normalsterblichen, davon nichts mit. Gar nicht mal immer, weil wir es nicht wollen, sondern oft wollen die Menschen es nicht. Das hat auch damit zu tun, dass wir anders sind als in den Filmen dargestellt. Ein Vampir fürchtet nicht die Sonne und ist keineswegs nur hinter dem Blut niedlicher Jungfrauen her. Da wird sehr viel Unsinn erzählt. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Ich weiß wirklich nicht, wie die Welt aussähe, wenn die Existenz von Magie anerkannt wäre. Wahrscheinlich würden die Menschen damit klarkommen, doch das würde ein, zwei oder mehr Generationen dauern. Auch die Wissenschaftler hätten ihre Probleme damit, ihr gesamtes Weltbild zu überdenken. Wie auch immer, wir leben in einer Art Schattenwelt. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, ist es eher andersherum. Normalsterbliche sehen die Schatten an der Wand und natürlich nur das, was genau an dieser Wand Schatten wirft.“
„Oh, Herr Mut, das war aber sehr … poetisch!“, rief Lola lachend. „Was ist denn los mit dir?“
„Ich bin ein Ideengeist, hast du das etwa vergessen?“
„Hast ja so recht!“ Sie gab mir ein Küsschen. „Und nun erzähl der Kerstin doch, was passiert ist! Sie hält es ja kaum noch aus vor Neugierde.“
Ich war mir nicht ganz sicher, ob das wirklich stimmte, doch letztlich war das ja ein Grund, warum wir sie heute besuchten, also gab ich die Geschichte zum Besten.
„Das ist ja wie in einer dieser Seifenopern“, meinte sie, als ich zu der Stelle kam, wie Laxnia ihre Tochter anrief. „Und was geschah danach?“
„Nun ja, Pruna kam tatsächlich. Am Anfang war sie sehr misstrauisch und verdächtigte uns gar, ihre Mutter als Geisel zu benutzen. Doch Laxnia konnte sie überzeugen, dass sie wirklich freiwillig da war. Und nachdem sie erzählt hatte, was geschehen war, wurde Pruna ganz still. Das muss ein großer Schock für sie gewesen sein. Sie ist dann einfach gegangen, ohne etwas zu sagen. Gestern rief uns Kassandra an, dass Pruna verschwunden ist. Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen und geschrieben, dass sie genug hat. Die Blutrache wäre von ihrer Seite beendet und mit ihrer Familie möchte sie nichts mehr zu tun haben. Am besten wäre, man würde sie vergessen und auf keinen Fall nach ihr suchen. Sie möchte niemanden je wiedersehen.“
„Das ist dann aber etwas scheinheilig, finde ich“, bemerkte Kerstin. „Erst mehrere umbringen und plötzlich das große Gejammer? Ich finde das nicht gut. Viel ehrlicher wäre es doch, sie würde sich dem stellen und die Angehörigen um Entschuldigung bitten. Natürlich lässt es sich nicht wieder gutmachen, aber damit würde sie wenigstens Charakter zeigen.“
„Ein Dämon ist nicht automatisch charakterstark“, entgegnete ich.
„Kann ein Dämon das überhaupt sein?“, fragte sie.
„Selbstverständlich. So groß ist der Unterschied zwischen Dämonen und Menschen gar nicht. Manchmal fällt es mir jedenfalls sehr schwer, diese Welt zu verstehen. Das ist so ein Fall. Wie viel Leid wäre vielen erspart worden, wenn die beiden ehrlicher gewesen wären? Vermutlich werde ich es nie verstehen können, warum die Welt so ist, wie sie ist, aber ich muss wohl akzeptieren, dass sie so ist, wie sie ist.“
„Und warum wollen Sie sie nicht verändern, statt sie zu akzeptieren?“
„Das tue ich durchaus, liebe Kerstin, ich bin schließlich ein Ideengeist“, sagte ich lächelnd. „Aber auch meine Macht ist begrenzt. Ich kann und will nicht den Menschen die Entscheidungen abnehmen, dementsprechend auch nicht die Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Das würde auch gar nicht gehen. Dennoch fällt es mir zumindest schwer, einige Entscheidungen zu verstehen.“
„Mir auch“, erwiderte Kerstin. „Mir auch, Herr Mut! Aber ist es nicht trotzdem so, dass ein Dämon gar kein Mensch ist?“
„Doch, in gewisser Weise schon“, widersprach Lola. „Dämonen und Menschen haben sehr viel gemeinsam, nicht nur ihr Aussehen. Pruna, Kassandra, auch Laxnia, sie lebten unter Menschen und wurden nicht als Dämonen beziehungsweise Elfe erkannt. Lisa bemerkte jahrelang nicht einmal, dass sie Elfenblut in ihren Adern hatte. Dämonen, Menschen, Hexen, Elfen und viele andere haben Gene, können geboren werden und sterben, mehr oder weniger. Nur die Geister, wie unser Herr Mut hier, die sind wirklich anders. Sie sind keine Menschen.“
„Manchmal schon“, bemerkte ich.
„Ja, Geister haben das Potenzial zur Menschwerdung, das ist wohl wahr. Sie sind ja auch die Blaupause für Menschen.“
„Genau so ist es“, bestätigte ich. „Nun, liebe Kerstin, wir nehmen erst einmal Abschied.“
„Werden wir uns wiedersehen?“
„Das denke ich durchaus, aber wann oder wo, das kann nur die Zukunft sagen. Vieles ist in Fluss, was früher unbeweglich wirkte, die Welt verändert sich gerade mehr, als viele es wahrhaben wollen. Aber auch ich weiß nicht, was geschehen wird. Ich weiß nur, dass es in der Menschheitsgeschichte immer mal Phasen gab, in denen es relativ ruhig war und andere Phasen mit viel Umbruch. Und die ruhige Phase ist jetzt erst einmal vorbei. Aus meiner Erfahrung heraus denke ich, das ist erst der Anfang.“
„Ja, das befürchte ich auch“, sagte Lola düster. „Aber, Kerstin, wie auch immer, was auch kommen mag, geben Sie einfach nicht auf.“
„Heißt das, wir werden uns länger nicht mehr sehen?“, fragte Kerstin.
„Nein, das heißt es nicht“, antwortete ich. „Wer weiß schon, was geschehen wird.“
Sie begleitete uns hinaus und schloss hinter uns ab.
Seufzend nahm Lola meine Hand. „Was denkst du, Herr Mut?“
„Über was?“
„Na ja, wie schlimm wird es werden mit den Menschen?“
„Wie könnte ich das denn wissen, meine Liebe? Ich bin nur ein Ideengeist, kein Prophet. Vielleicht besinnen sie sich noch rechtzeitig und die Schäden halten sich in Grenzen.“
„Glaubst du daran?“
„Ich hoffe es, Lola, ich hoffe es. Komm, wir holen uns am Anleger ein Eis, einverstanden?“
Das war sie und wir spazierten auf das Rheintor zu.